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Lebenserwartung

Die Lebenserwartung bei Geburt ist ein Standardindikator zur allgemeinen Beurteilung der Gesundheit der Bevölkerung. In Nordrhein-Westfalen liegt die sogenannte "Mittlere Lebenserwartung" für neugeborene Mädchen aktuell bei 82,5 Jahren und für neugeborene Jungen bei 77,9 Jahren (Mittelwert 2013/2015). Die Lebenszeit, die eine Person voraussichtlich in Gesundheit verbringt, beträgt für neugeborene Mädchen bei 74,9 Jahren und für neugeborene Jungen bei 69,8 Jahren. Diese üblicherweise als "Gesunde Lebenserwartung" bezeichnete Kenngröße wird anhand der voraussichtlichen durchschnittlichen Lebenszeit angegeben, die frei von Behinderungen höheren Grades (Schwerbehinderungsgrad ≥ 50) verbracht wird (siehe Abbildung 1).

Gesundheitsindikator 3.9: Lebenserwartung, Alter, Geschlecht, NRW
Gesundheitsindikator 3.11: Lebenserwartung ohne Behinderung, Alter, Geschlecht, NRW

Trenddiagramm der mittleren und gesunden Lebenserwartung bei Frauen und Männern in NRW für den Zeitraum 2003 bis 2015
Abbildung 1: Mittlere und Gesunde Lebenserwartung nach Geschlecht (3-Jahres-Mittelwert), Nordrhein-Westfalen, 2003-2015. IT.NRW, Indikatoren 3.9 und 3.11: LZG.NRW

In den vergangenen Jahrzehnten ist die Lebenserwartung fortwährend angestiegen. Größerer Wohlstand, eine zunehmend bessere medizinische Versorgung und das Aufwachsen unter verbesserten Lebens- und Umweltbedingungen sowie Veränderungen im Risikoverhalten sind Erklärungsansätze, mit denen der Anstieg der Lebenserwartung begründet wird. Allerdings unterscheidet sich die Lebenserwartung der Frauen und Männer in Nordrhein-Westfalen deutlich. Als Erklärung für diese Unterschiede, die auch auf Bundesebene und in anderen Ländern zu beobachten sind, wird eine Kombination aus biologischen Faktoren (genetische beziehungsweise hormonelle Unterschiede) und Unterschieden im Risikoverhalten (vor allem Rauchen) sowie der Inanspruchnahme von medizinischer Versorgung beschrieben. Auch die zum Teil unterschiedlichen sozialen, ökonomischen und kulturellen Lebensumstände von Frauen und Männern wirken sich nachweislich auf die Lebenserwartung aus [Gaber et al. 2011, Doblhammer et al. 2011]. Dabei haben die Lebensumstände (Umwelt im weitesten Sinne) und das davon abhängige Gesundheitsverhalten den größten Einfluss auf die geschlechtsspezifischen Unterschiede der Lebenserwartung. Biologische Unterschiede scheinen lediglich für einen Unterschied von ein bis zwei Jahren in der Lebenserwartung verantwortlich zu sein [Luy et al. 2013].

Eine Angleichung der sozioökonomischen Lebensumstände und der Lebensstile von Frauen und Männern sowie eine verringerte vorzeitige Sterblichkeit der Männer führen deshalb langsam zu einer Annäherung der Mittleren Lebenserwartung zwischen den Geschlechtern [Gerland 2005]. In Nordrhein-Westfalen konnte bei den Frauen zwischen 2003/2005 und 2013/2015 ein Anstieg der Mittleren Lebenserwartung um gut ein Jahr verzeichnet werden. Im gleichen Zeitraum stieg die Lebenserwartung der Männer um zwei Jahre (siehe Abbildung 1). Aktuell beträgt der Geschlechterunterschied bei der Mittleren Lebenserwartung 4,6 Jahre.

Der Geschlechterunterschied in der Lebenserwartung nimmt mit steigendem Alter ab und beträgt für die 65-Jährigen nur noch 3,2 Jahre. 65-jährige Frauen können mit einer Lebenszeit von weiteren 20,6 Jahren rechnen, bei Männern beträgt dieser Zeitraum 17,4 Jahre. In den letzten Jahren ist bei Männern ein stärkerer Anstieg zu beobachten als bei den Frauen. Während die fernere Lebenserwartung der Frauen in diesem Alter seit 2003/2005 um 0,9 Jahre angestiegen ist, beträgt der Anstieg  bei Männern 1,4 Jahre (siehe Abbildung 2).

Der im Vergleich zur Mittleren Lebenserwartung geringere Geschlechterunterschied von 3,2 Jahren ist dadurch begründet, dass sich die Gesundheitsgefahren im Alter zwischen Frauen und Männern weniger stark unterscheiden als dies im jüngeren Lebensalter der Fall ist. Rund 16 % der Sterbefälle betrafen im Jahr 2015 in NRW Personen, die jünger als 65 Jahre waren, davon waren 19.867 Männer und 11.812 Frauen. Die erhöhte Sterblichkeit bei Männern unter 65 Jahren beruht vor allem darauf, dass  Todesfälle aufgrund von Herzkreislauferkrankungen und Unfällen deutlich häufiger vorkommen als bei Frauen im Alter unter 65 Jahren (Herzkreislauferkrankungen mehr als doppelt so hohe Sterblichkeit, Unfälle fast dreimal so hohe Sterblichkeit). Da insgesamt aber nur ein kleiner Anteil der Männer vor dem Rentenalter verstirbt, ist die Auswirkung auf die Lebenserwartung der Männer trotzdem relativ gering.

Trenddiagramm der ferneren und gesunden Lebenserwartung bei 65-jährigen Frauen und Männern in NRW für den Zeitraum 2003 bis 2015
Abbildung 2: Fernere und Gesunde Lebenserwartung 65-jähriger Frauen und Männer (3-Jahres-Mittelwert), Nordrhein-Westfalen, 2003-2015. IT.NRW, Indikatoren 3.9 und 3.11: LZG.NRW

Bei der Gesunden Lebenserwartung zeigt sich im Beobachtungszeitraum ein geringerer Anstieg als bei der Mittleren Lebenserwartung (siehe Abbildungen 1 und 2), das heißt, der Anteil an gesunden Lebensjahren an der Gesamt-Lebenszeit wird tendenziell geringer. Diese Entwicklung ist bei den Frauen deutlicher erkennbar als bei den Männern.

Die Lebenserwartung liegt in Nordrhein-Westfalen wie in den Vorjahren niedriger als der Bundesdurchschnitt. Der Abstand zum Bundeswert fällt bei den Frauen etwas höher aus als bei den Männern (aktuell Frauen minus 0,5 Jahre, Männer minus 0,3 Jahre, siehe Abbildung 3).

Trenddiagramm der mittleren Lebenserwartung bei Frauen und Männern in NRW und im bundesweiten Vergleich für den Zeitraum 2003 bis 2015
Abbildung 3: Mittlere Lebenserwartung nach Geschlecht, Nordrhein-Westfalen und bundesweit, 2003-2015. gbe-bund, LZG.NRW

Bei einer insgesamt positiven Entwicklung der Lebenserwartung gibt es in Nordrhein-Westfalen deutliche regionale Unterschiede. Der Abstand zwischen der höchsten und der niedrigsten Lebenserwartung der Frauen und Männer in nordrhein-westfälischen Kreisen und kreisfreien Städten ist erheblich (Frauen 3 Jahre, Männer 4 Jahre). Allerdings hat sich dieser Abstand bei beiden Geschlechtern innerhalb der letzten fünf Jahre merklich verringert (um 0,7 Jahre bei den Frauen und 0,9 Jahre bei den Männern). Kreise und kreisfreie Städte mit einer geringeren Lebenserwartung finden sich in Nordrhein-Westfalen insbesondere - aber nicht allein - in der Ruhrgebietsregion (siehe Abbildungen 4 und 5). Die unterschiedliche Kombination von günstigen und ungünstigen Einflussfaktoren auf die Gesundheit kann zur Erklärung der regionalen Unterschiede herangezogen werden. Diesbezügliche Erklärungsansätze finden sich in der wissenschaftlichen Literatur zu regionalen Gesundheitsunterschieden wieder. Hier werden kompositionelle Effekte (soziale Zusammensetzung der Bevölkerung), kontextuelle Effekte (Einflüsse aus der regionalen Umwelt) und kollektive Effekte (geteilte Werte und Normen) diskutiert [Macintyre et al. 2002]. Das Zusammenspiel der Gesundheitsdeterminanten ist ausgesprochen komplex,  daher lassen sich die verschiedenen Ebenen in der Forschungspraxis nur schwer voneinander trennen [Macintyre et al. 2002, Maier et al. 2012].

Gesundheitsindikator 3.10: Lebenserwartung, Geschlecht, NRW, Kreise

NRW-Kreiskarte zur Lebenserwartung von Frauen, 3-Jahres-Mittelwert der Jahre 2013 bis 2015
Abbildung 4: Abweichung der Mittleren Lebenserwartung von Frauen vom Landesdurchschnitt, Nordrhein-Westfalen 2013/2015 (3-Jahres-Mittelwert). IT.NRW, Indikator 3.10: LZG.NRW
NRW-Kreiskarte zur Lebenserwartung von Männern, 3-Jahres-Mittelwert der Jahre 2013 bis 2015
Abbildung 5: Abweichung der Mittleren Lebenserwartung von Männern vom Landesdurchschnitt, Nordrhein-Westfalen 2013/2015 (3-Jahres-Mittelwert). IT.NRW, Indikator 3.10: LZG.NRW

Die gegenseitige Abhängigkeit zwischen Gesundheit und Wohlstand in der Gesellschaft ist jedoch hinlänglich belegt [Suhrcke et al. 2005, Figueras & McKee 2012]. Gezielte allgemeinpolitische und gesundheitspolitische Maßnahmen sowie verstärkte Gesundheitsförderungs- und Präventionsbemühungen, die auch die Lebensumwelt der Menschen in den Blick nehmen, können einen positiven Einfluss auf die weitere Entwicklung der Lebenserwartung in Nordrhein-Westfalen haben.

Fortschreibung des Bevölkerungsstandes 2015. Landesbetrieb Information und Technik Nordrhein-Westfalen (IT.NRW).

Statistik der Sterbefälle. Landesbetrieb Information und Technik Nordrhein-Westfalen (IT.NRW).

Statistik über schwerbehinderte Menschen. Landesbetrieb Information und Technik Nordrhein-Westfalen (IT.NRW).

Sterbetafeln. Landesbetrieb Information und Technik Nordrhein-Westfalen (IT.NRW).

Doblhammer G, Kreft D: Länger leben, länger leiden? Trends in der Lebenserwartung und Gesundheit. Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz, 54 (2011), S. 907-914.

Figueras J, McKee M: Health Systems, Health, Wealth and Societal Well-being. Assessing the case for investing in health systems. World Health Organization on behalf of the European Observatory on Health Systems and Policy. Berkshire: Open University Press 2011.

Gaber E, Wildner M: Sterblichkeit, Todesursachen und regionale Unterschiede. Gesundheitsberichterstattung des Bundes, Heft 52. Robert Koch-Institut Berlin 2011.

Gerland P: From divergence to convergence in sex differentials in adult mortality in developed countries. Abstract for the International Union for the Scientific Study of Population (IUSSP). 2005.

Luy M, Gast K: Do women live longer or do men die earlier? Reflections on the causes of sex differences in life expectancy. Gerontology, 60 (2013), Nr. 2, S. 143-153.

Macintyre S, Ellaway A, Cummins S: Place effects on health: how can we conceptualise, operationalise, and measure them? Social Science & Medicine, 55 (2002), S. 125-139.

Maier W, Fairburn J, Mielck A: Regionale Deprivation und Mortalität in Bayern. Entwicklung eines "Index Multipler Deprivation" auf Gemeindeebene. Gesundheitswesen, 74 (2012), 416-425.

Suhrcke M, McKee M, Sauto Arce R, Tsolova S, Mortensen J: Luxemburg: Europäische Kommission (Hrsg.) 2005.