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Multiresistente gramnegative Stäbchen (MRGN)

Nachdem die letzten Jahrzehnte durch eine zunehmende Ausbreitung grampositiver nosokomialer Infektionserreger gekennzeichnet waren, zeichnet sich in den letzten Jahren eine Zunahme der Resistenzen bei gramnegativen Stäbchen-Bakterien ab. Diese Zunahme ist nicht nur durch die Verbreitung einzelner Resistenzgene in einzelnen Spezies gekennzeichnet, sondern auch durch das Auftreten und die rasche Verbreitung immer neuer Resistenzgene, die zwischen verschiedenen gramnegativen Spezies ausgetauscht werden können.

Die zum Teil einschneidenden klinischen Konsequenzen mit fehlenden Therapieoptionen und hoher Mortalität der Infektionen machen ein abgestimmtes Vorgehen erforderlich, welches transparent ist sowohl für die behandelnden Ärztinnen und Ärzte als auch für die betroffenen Patientinnen und Patienten.

Empfehlung des Robert Koch-Instituts

Die Empfehlung "Hygienemaßnahmen bei Infektionen oder Besiedlung mit multiresistenten gramnegativen Stäbchen" und deren Ergänzungen der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) beim Robert Koch-Institut richten sich primär an die Träger und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Krankenhäusern.[1,2,3] Auch in anderen medizinischen Einrichtungen, in denen invasive Therapien, zum Beispiel Beatmungen in der neurologischen Rehabilitation, durchgeführt werden, können sie hilfreich sein. Einrichtungen, die den Lebensbereich der Patientinnen und Patienten darstellen (Alten- und Pflegeheime), werden in den Dokumenten derzeit nicht berücksichtigt. Hier ist eine eigene individuelle Risikoabwägung sinnvoll, wie sie in der KRINKO Empfehlung zur "Infektionsprävention in Heimen" dargestellt wird.[4] Aufgrund der Eigenschaften der gramnegativen Stäbchen sollten die Maßnahmen in Heimen jedoch nicht über die Maßnahmen, die für MRSA-positive Bewohnerinnen und Bewohner festgelegt sind, hinausgehen.

Die Dokumente stellen speziell Maßnahmen zur Prävention der Übertragung von multiresistenten gramnegativen Stäbchen zusammen.

Grundlegende Maßnahmen zur Infektionsprävention sind den entsprechenden weiteren Empfehlungen der KRINKO zu entnehmen. Hier sei insbesondere auf die Empfehlungen "Händehygiene in Einrichtungen des Gesundheitswesens" und "Anforderungen an die Hygiene bei der Reinigung und Desinfektion von Flächen" verwiesen.[5,6] Spezielle Maßnahmen für besonders gefährdete Patientenpopulationen finden sich in den entsprechenden Empfehlungen "Anforderungen an die Hygiene bei der medizinischen Versorgung von immunsupprimierten Patienten" und "Empfehlung zur Prävention nosokomialer Infektionen bei neonatologischen Intensivpflegepatienten mit einem Geburtsgewicht unter 1500 g".[7,8]

Da es sich bei den behandelten Mikroorganismen um Erreger mit speziellen Resistenzen handelt, soll eine Surveillance entsprechend den Erläuterungen des Robert Koch-Institutes zur "Surveillance von nosokomialen Infektionen" sowie zur "Erfassung von Erregern mit speziellen Resistenzen und Multiresistenzen" gemäß § 23 Abs. 4 Infektionsschutzgesetz (IfSG) erfolgen.[9,10]

Klassifizierung nach Resistenzeigenschaften

Multiresistente gramnegative Stäbchen werden nach KRINKO Empfehlung ausschließlich auf Basis ihrer phänotypischen Resistenzeigenschaften gegen Leitsubstanzen der vier Antibiotikagruppen klassifiziert, die in der Klinik als primäre bakterizide Therapeutika bei schweren Infektionen eingesetzt werden.[1] Diese umfassen die Gruppen der Acylureidopenicilline, der Cephalosporine der 3. und 4. Generation, der Carbapeneme und der Fluorchinolone. Da in der Neonatologie bzw. NICU (neonatal intensiv care unit, Kinderintensivstationen) und in der Pädiatrie eine empirische Therapie mit Fluorchinolonen nicht in Frage kommt, ist die Anwendbarkeit der KRINKO-Definition von MRGN für erwachsene Patientinnen und Patienten in diesen Bereichen limitiert. Auch die Bewertung von Resistenzprofilen in der NICU aus klinisch therapeutischer Sicht ist eine andere als auf Intensivstationen für erwachsene Patientinnen und Patienten. Als Ergänzung der genannten Definitionen wird es daher als sinnvoll erachtet, für gramnegative Isolate von neonatologischen oder pädiatrischen Patientinnen und Patienten die zusätzliche Kategorie "2MRGN NeoPäd" einzuführen, nach der ergänzenden KRINKO Empfehlung "Praktische Umsetzung sowie krankenhaushygienische und infektionspräventive Konsequenzen des mikrobiellen Kolonisationsscreenings bei intensivmedizinisch behandelten Früh- und Neugeborenen".[11]

Die aktuelle Fassung der MRGN-Klassifikation ergibt sich aus insgesamt drei Veröffentlichungen, wobei die Empfehlung der KRINKO zu "Hygienemaßnahmen bei Infektionen oder Besiedlung mit multiresistenten gramnegativen Stäbchen" von 2012 die Grundlage bildet.[1] Eine Aktualisierung dieser Klassifikation wurde im Zuge der Neudefinition der "I"-Kategorie durch die EUCAST (European Committee on Antimicrobial Susceptibility Testing) notwendig und im Epidemiologischen Bulletin Nr. 9/2019 veröffentlicht.[3] Zudem gelten die mit der KRINKO abgestimmten MRGN-FAQs des Nationalen Referenzzentrums (NRZ) für gramnegative Krankenhauserreger als offizielle Ergänzung zur MRGN-Klassifikation.[12]

Da in Laboren in Deutschland meistens die EUCAST-Kriterien zur Antibiotikaresistenzbestimmung von Bakterienstämmen verwendet werden, gilt die angepasste MRGN-Klassifikation aus 2019. "I" hat seitdem die Bedeutung "sensibel bei erhöhter (increased) Dosierung/Exposition". Für die MRGN-Klassifikation wurde "I" (intermediar) bisher als "nicht sensibel" zu "resistent" gruppiert, durch die neue Kategorisierung ist das nicht mehr sinnvoll. Gemäß der neuen Definition sollen künftig bei Verwendung des EUCAST-Systems nur die mit "R" bewerteten Antibiotikagruppen für die Klassifizierung als MRGN verwendet werden.

Tabelle 1: Neue Klassifizierung multiresistenter gramnegativer Stäbchen auf Basis ihrer phänotypischen Resistenzeigenschaften bei Anwendung des EUCAST Systems [3]
AntibiotikagruppeLeitsubstanzEnterobacteralesPseudomonas aeruginosaAcinetobacter baumannii


3MRGN14MRGN23MRGN14MRGN23MRGN14MRGN2
AcylureidopenicillinePiperacillinRRNur eine der 4 Antibiotika-gruppen wirksam (S oder I)RRR
3./4. Generations-CephalosporineCefotaxim und/oder CeftazidimRRRRR
CarbapenemeImipenem und/oder MeropenemS oder IRRS oder IR
Fluorchinolone
CiprofloxacinR

R


R


R

R





oder Nachweis einer Carbapene-mase3

oder Nachweis einer Carbapene-mase3

oder Nachweis einer Carbapene-mase3

(R = resistent, I = sensibel bei erhöhter (Increased) Dosierung/Exposition, S = sensibel bei normaler Dosierung)
1 3MRGN (Multiresistente gramnegative Stäbchen mit Resistenz gegen 3 der 4 Antibiotikagruppen)
2 4MRGN (Multiresistente gramnegative Stäbchen mit Resistenz gegen 4 der 4 Antibiotikagruppen)
3 Unabhängig vom Ergebnis der phänotypischen Resistenzbestimmung für Carbapeneme sowie der anderen drei Substanzklassen

Folgende Erreger werden von der MRGN-Klassifikation erfasst:

  • Alle Familien und Spezies der Ordnung Enterobacterales.
  • Die Spezies Pseudomonas aeruginosa, andere Pseudomonas spp. werden nicht MRGN klassifiziert.
  • Mit Acinetobacter baumannii sind alle Spezies der Acinetobacter baumannii-Gruppe gemeint, diese besteht aus Acinetobacter baumannii, Acinetobacter pittii, Acinetobacter nosocomialis, Acinetobacter seifertii und Acinetobacter lactucae (früher A. dijkshoorniae). Andere Acinetobacter spp. werden nicht MRGN klassifiziert.

Für die MRGN-Klassifikation werden nur die Leitsubstanzen der einzelnen Antibiotikagruppen betrachtet, wobei für die Cephalosporine und die Carbapeneme je zwei Leitsubstanzen angegeben sind. Für die Enterobacterales und die Acinetobacter baumannii-Gruppe ist die Resistenz gegen EINE der genannten Leitsubstanzen ausreichend, damit die Antibiotikagruppe als resistent gewertet wird. Bei Pseudomonas aeruginosa muss für die Einstufung als resistent eine Resistenz gegenüber BEIDEN Leitsubstanzen vorliegen.

Eine Ausnahme besteht für die Gattungen Proteus und Providencia sowie für die Spezies Morganella morganii. Bei diesen wird die Leitsubstanz Imipenem aufgrund einer natürlichen Resistenz nicht für die MRGN-Klassifikation betrachtet.

Für eine Einstufung als 3MRGN ist eine phänotypische Resistenz gegenüber den genannten Antibiotikagruppen relevant. Besteht eine Resistenz gegen 3 der 4 Antibiotikagruppen, so wird das Bakterienisolat als 3MRGN klassifiziert. Für die Einstufung als 4MRGN ist neben der phänotypischen Resistenz auch der Nachweis einer Carbapenemase relevant. Ein Bakterienisolat wird als 4MRGN klassifiziert, wenn eine Resistenz gegen alle 4 Antibiotikagruppen besteht oder eine Carbapenemase nachgewiesen wurde, dies gilt unabhängig vom phänotypischen Resistenzprofil.

Da die relativ komplexe Eingruppierung der Mikroorganismen aufgrund der Resistenzmuster die Fachkenntnis der Mikrobiologin/des Mikrobiologen oder der Labormedizinerin/des Labormediziners erfordert, empfiehlt die KRINKO, dass das Labor der einsendenden Person die Ergebnisse der Klassifizierung mitteilen soll:

  • Mitteilung der Klassifizierung als 2MRGN Neopäd, 3MRGN oder 4MRGN an die einsendende Person auf dem Befund,
  • telefonische Mitteilung des Nachweises von 4MRGN vorab an die einsendende Person,
  • NICU: telefonische Mitteilung des Nachweises von 2MRGN Neopäd, 3MRGN und 4MRGN vorab an die einsendende Person.[1]

Bakterien, bei denen ESBL oder Carbapenemasen gefunden werden, verursachen nur unter bestimmten Bedingungen eine Infektion. Meistens besiedeln sie lediglich den Menschen, ohne irgendeine Erkrankung oder sonstige Schädigung hervorzurufen. Zu den Erkrankungen, die prinzipiell durch solche Bakterien hervorgerufen werden können, zählen: Harnwegsinfektion, Peritonitis, Pneumonie, Sepsis oder Wundinfektionen. Abgesehen von den Harnwegsinfektionen treten diese Erkrankungen praktisch nur bei sehr schwer kranken Patientinnen und Patienten auf, also zum Beispiel bei Patientinnen und Patienten auf Intensivstationen, bei sehr schweren Erkrankungen oder nach schweren Unfällen. Eine Infektion durch Bakterien mit ESBL oder Carbapenemasen ist dabei anhand der Symptome nicht von einer Infektion durch Bakterien ohne solche Resistenzmechanismen zu unterscheiden.

[1] Hygienemaßnahmen bei Infektionen oder Besiedlung mit multiresistenten gramnegativen Stäbchen. Empfehlung der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) beim Robert Koch-Institut (RKI). Bundesgesundheitsblatt 55 (2012), S. 1311-1354, DOI: 10.1007/s00103-012-1549-5.

[2] Ergänzung zu den "Hygienemaßnahmen bei Infektionen oder Besiedlung mit multiresistenten gramnegativen Stäbchen" (2012) im Rahmen der Anpassung an die epidemiologische Situation. Epidemiologisches Bulletin 21 (2014), S. 183-184, DOI: http://dx.doi.org/10.25646/5916.

[3] Ergänzung zur Empfehlung der KRINKO "Hygienemaßnahmen bei Infektionen oder Besiedlung mit multiresistenten gramnegativen Stäbchen" (2012) im Zusammenhang mit der von EUCAST neu definierten Kategorie "I" bei der Antibiotika-Resistenzbestimmung: Konsequenzen für die Definition von MRGN. Epidemiologisches Bulletin 9 (2019), S. 82-83, DOI: 10.25646/5916.

[4] Infektionsprävention in Heimen. Empfehlung der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) beim Robert Koch-Institut (RKI). Bundesgesundheitsblatt 48 (2005), S. 1061-1080, DOI: 10.1007/s00103-005-1126-2.

[5] Händehygiene in Einrichtungen des Gesundheitswesens. Empfehlung der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) beim Robert Koch-Institut (RKI). Bundesgesundheitsblatt 59 (2016), S. 1189-1220, DOI: 10.1007/s00103-016-2416-6.

[6] Anforderungen an die Hygiene bei der Reinigung und Desinfektion von Flächen. Empfehlung der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) beim Robert Koch-Institut (RKI). Bundesgesundheitsblatt 65 (2022), S. 1074-1115, DOI: https:// doi.org/ 10.1007/ s00103- 022- 03576-1.

[7] Anforderungen an die Infektionsprävention bei der medizinischen Versorgung von immunsupprimierten Patienten. Empfehlung der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) beim Robert Koch-Institut (RKI). Bundesgesundheitsblatt 64 (2021), S. 232-264, DOI: https:// doi.org/ 10.1007/ s00103- 020- 03265-x.

[8] Empfehlung zur Prävention nosokomialer Infektionen bei neonatologischen Intensivpflegepatienten mit einem Geburtsgewicht unter 1500 g. Empfehlung der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) beim Robert Koch-Institut (RKI). Bundesgesundheitsblatt 50 (2007), S. 1265-1303, DOI: 10.1007/s00103-007-0337-0.

[9] Surveillance von nosokomialen Infektionen. Empfehlung der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) beim Robert Koch-Institut (RKI). Bundesgesundheitsblatt 63 (2020), S. 228-241, DOI: https:// doi.org/ 10.1007/ s00103- 019- 03077-8.

[10] Surveillance nosokomialer Infektionen sowie die Erfassung von Krankheitserregern mit speziellen Resistenzen und Multiresistenzen. Bundesgesundheitsblatt 56 (2013), S. 580-583, DOI: 10.1007/s00103-013-1705-6.

[11] Praktische Umsetzung sowie krankenhaushygienische und infektionspräventive Konsequenzen des mikrobiellen Kolonisationsscreenings bei intensivmedizinisch behandelten Früh- und Neugeborenen. Epidemiologisches Bulletin 42 (2013), S. 421-436, DOI: 10.25646/182.

[12] Nationales Referenzzentrum für gramnegative Krankenhauserreger: Antworten auf häufig gestellte Fragen (FAQ) im Zusammenhang mit der Klassifikation von 3MRGN und 4MRGN durch mikrobiologische Laboratorien. Stand: 07.09.2023, (abgerufen am 30.10.2023).